Vielfalt

Zwischen Hoch- und Stadtteilkultur – eine kommunalpolitische Perspektive

Dr. Daniel Gardemin, Kulturpolitischer Sprecher Bündnis90/Die Grünen Hannover, stellv. Vorsitzender des Kulturausschusses der Stadt Hannover im Gespräch mit Eva-Marie Gindel, Universität Hildesheim, Institut für Kulturpolitik, Unesco Chair “Cultural Policy for the Arts in Development”

Eva-Marie Gindel: Was verstehen Sie unter dem Begriff der “Kultur”?
Daniel Gardemin: Der Kulturbegriff ist äußerst dehnbar. Hochkultur, Stadtteilkultur, Erinnerungskultur, um nur drei wichtige Stichpunkte zu nennen. Das macht es nicht leicht, Kultur als Feld der Kommunalpolitik zu definieren und in einen handhabbaren Zusammenhang zu stellen. Die Schnittstellen zur Bildungs- und Sozialpolitik sind zu beachten. Ich persönlich nehme den Begriff sehr wörtlich. Im Lateinischen steht er für die Kunst des Ackerbaus. Kulturarbeit bezieht sich auf Erhaltung, Pflege und Gestaltung. Bezogen auf die Kulturpolitik in einer modernen Großstadt bedeutet das, die Menschen als gestaltende Kräfte ihrer Stadt mitzunehmen, ihnen zu helfen, Unfertiges kreativ zu verändern.

Was ist Ihre persönliche Motivation sich für Kultur einzusetzen?
Wir leben in einer stark durchökonomisierten Zeit. Die Schulen und Universitäten haben ihre Curricula gestrafft und auf ein utilitaristisches Weltbild hin ausgerichtet. Der Alltag ist durchzogen von funktionierenden und arbeitsteiligen Berufs- und Lebenswelten. Kultur kann ein Gegenbild entwerfen und einen Ausgleich herstellen. Ich setze mich dafür ein, kulturelle Nischen als Räume eines Gegenentwurfes zu unterstützen und zu fördern.

Wofür wird Ihrer Meinung nach zu wenig Geld investiert und wofür zu viel?
Kulturpolitik sieht sich stets dem Vorwurf ausgeliefert, zu viel Geld auszugeben. Wozu soll das gut sein, heißt es vordergründig. Kultur ist aber das Salz in der Suppe, ohne Kultur ist eine Stadt fade und blass. Eine Stadt muss auch schmecken, nicht nur in der City, sondern an jeder Ecke und in jedem Stadtteil. Die Hochkultur im Herzen der Stadt ist wichtig, sie ist das Aushängeschild. Sie kostet viel und sie hat in der Regel starke Unterstützer. Stadtteilkulturarbeit hingegen hat es immer schwer, sie muss ich stärker legitimieren. Hier fehlt es häufig an allen Ecken und Enden. Dabei ist sie es gerade, die Integration fördert. Ihr gilt mein besonderes Augenmerk. Kulturpolitik ist auch Bildungsauftrag.

Warum ist für Sie Kulturpolitik wichtig und sehen Sie persönlich eine fundamentale Wichtigkeit für die Gesellschaft?
Eine Stadt mit einer guten Kulturarbeit ist eine Stadt mit einem starken Zusammenhalt. Hannovers Stärke ist die soziale Vielfalt. Sie ist auch eine kulturelle Vielfalt. Jede und jeder bringt etwas mit. Das zieht die großen Stars ebenso wie die kleinen Initiativen in den Bann. Ich habe beispielsweise ein Benefizkonzert mit der Klarinettistin Sharon Kam organisiert. Der Erlös ging vollständig in Spielgeräte eines kleinen Kindergartens. Warum? Weil sich Weltstars in Hannover wohlfühlen und die Stadt unterstützen.

Dieser Zusammenhalt findet sich in etlichen Beispielen und macht eine hohe Attraktivität der Stadt aus. So genommen ist in Kultur investiertes Geld sogar unter Nützlichkeitsaspekten sinnvoll angelegt. Wie soll Kultur in der Zukunft aussehen? Wie soll und wie wird sich Kulturpolitik verändern?

Kultur in der Stadt wird bunter werden. Allein wegen des Bevölkerungswachstums und des zunehmenden Städtetourismus’. Einige haben die Festivalisierung der Stadt, wie es Häußermann und Siebel schon vor Jahren nannten, bereits begriffen. Hannover beispielsweise tut gut daran, Ingo Metzmachers Kunstfestspiele Herrenhausen, Martine Dennewalds Theaterformen und die Fete de la Musique in Szene zu setzen. Und das großartige Sprengelmuseum ist das kulturelle Aushängeschild Hannovers. Die gerade beendete atemberaubende Schau der klassischen Moderne ist ein Highlight mit höchster Strahlkraft. Es braucht aber auch Festivals der Subkultur, Flohmärkte als Orte der Kleinkunst und Lebensraum für die Avantgarde. Das kostet auch was, denn Ateliers werden in der wachsenden Stadt teurer, das Leben sowieso. Es braucht daher verlässliche Förderung mit klarer und fairer Honorargestaltung. Die Städte, die Hochkultur, Stadtteilkultur und Avantgarde gleichermaßen achten und fördern, werden als Stadtlebensräume attraktiv sein. Wenn es dann noch gelingt, eine zusammenhängende kulturelle Identität zu prägen, können Städte, die ja einer Städtekonkurrenz ausgesetzt sind, auch nach außen ein wiedererkennbares kulturelles Profil entwickeln.