Verkehrssicherheit für die Kleinsten – Es muss besser werden
Nachdem ein Siebenjähriger am 12.4.2018 von einer Autofahrerin auf dem Zebrastreifen Deisterstraße schwer verletzt wurde, müssen Polizei und Stadtverwaltung jetzt konsequent die Ursachen benennen und bekämpfen. Es muss deutlich werden, dass Kinder niemals in Gefahr geraten dürfen, wenn sie einen Zebrastreifen oder eine Ampelanlage queren. Nicht in Linden und nicht anderswo.
Wenn die Verwaltung im Masterplan Mobilität 2025 das Ziel Vision Zero ausgibt – also keine Verletzten und Toten im Straßenverkehr mehr – dürfen Verkehrsübertretungen im motorisierten Individualverkehr nicht weiter als Kavaliersdelikte geduldet werden. Wir haben bei einem Ortstermin nach dem Unfalltag Augenzeug/innen und Anwohner der Deisterstraße befragt. Die einhellige Antwort: Tempo 30 wird kaum eingehalten, es wird so gut wie nicht kontrolliert, Autofahrende erzwingen sich die Vorfahrt am Zebrastreifen, durch bauliche Misstände und Falschparker wird die Sicht versperrt. Alle drei Verstöße – erhöhte Geschwindigkeit, Vorfahrtsmissachtung und Falschparken – führen in der Summe zur Inkaufnahme von schweren Unfällen. Die Schuldfrage liegt zweifelsohne bei der die Vorschriften übertretenden Autofahrerin. Sie liegt aber auch bei Politik, Polizei und Verwaltung, wenn offensichtliche Gesetzesverstöße tausendfach zugelassen werden. So sagt die Stadtverwaltung in der Ablehnung eines einstimmigen Beschlusses des Bezirksrates Mitte, Falschparker auch nachts zu kontrollieren, „die Kosten stünden außer Verhältnis zu dem zu erwartenden geringen Erfolg“ (HAZ, 30.10.2016). Das ist eine Bankrotterklärung, weil keine anderen Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Die von uns befragten Kinder teilten mit, dass es bereits einen ähnlichen Unfall an dem Zebrastreifen an der Deisterstraße gegeben hätte. Sie und viele andere Anwohner würden den Zebrastreifen mehrmals täglich nutzen, als Schulweg, zu Freunden und zu den Geschäften auf der Deisterstraße.
Polizei und Verwaltung müssen jetzt das Handlungskonzept aus dem Leitbild Radverkehr 2025 zur Vermeidung von Unfällen an Zebrastreifen, Ampelanlagen und bei Rechtsabbiegesituationen konsequent umsetzen. Im Leitbild Radverkehr 2025 heißt es: “Die Verkehrssicherheit im Stadtgebiet ist zu verbessern, das heißt, die Anzahl der Unfälle im Radverkehr mit Schwerverletzten und Getöteten ist im gleichen Zeitraum zu halbieren.” Bereits 2015 wurden im Handlungskonzept Radverkehr Unfallursachen herausgestrichen. Dort steht: “Schon jetzt ist aus den Beobachtungen der Polizei klar, dass schlechte Sichtbeziehungen das Unfallrisiko erhöhen. Wir wollen handeln – kurzfristig und öffentlichkeitswirksam” (Beiträge zur regionalen Entwicklung Nr. 134/2015).
Hannover ist wiederholt Schlusslicht in den Statistiken zu Kinderunfällen im Städtevergleich. Wenn nicht jetzt mit allen Kräften ein Konzept ausgearbeitet wird, das allen Verkehrsteilnehmern Sicherheit an Zebrastreifen, Ampelanlagen und in Rechtsabbiegesituationen ermöglicht, passiert der nächste schwere Unfall wieder unter den gleichen Voraussetzungen. Es müssen konsequent Zebrastreifenvorfahrtsname, Geschwindigkeitsverstöße und Falschparker kontrolliert werden. Solche Unfälle dürfen sich nicht wiederholen. Sie schaden nicht nur den Unfallopfern, sondern führen zu einer nachhaltigen Verängstigung von Kindern und Eltern. In unserem Stadtteil und in unserer Stadt soll die körperliche Unversehrtheit garantiert sein. Das Überfahren eines Kindes auf einem Zebrastreifen ist ein Tiefpunkt in unserem Stadtteil und unserer Stadt.
Es muss auch baulich etwas passieren. Der Zebrastreifen ist zwar bereits durch abgepollerte Flächen abgesichert, stadtauswärts aber nur wenige Meter, so dass sich durch parkende Autos Sichtbarrieren ergeben. Mindestens ein weiterer Parkplatz ist – wie auf der anderen Straßenseite bereits geschehen – abzupollern. Auch die Installation einer Ampel könnte Abhilfe schaffen, auch wenn es äußerst bedauerlich ist, wenn ein Zebrastreifen keine ausreichende Sicherheit mehr verspricht. Gegebenenfalls wäre der Bau einer Mittelinsel ein Kompromiss, das möge die Verwaltung ausloten. Auch eine Geschwindigkeitsanzeige gehört auf die Deisterstraße.
Immer wieder wird mehr Verkehrserziehung gefordert, das Einhalten von Regeln unseren Kindern systematisch beigebracht. Verkehrserziehung ist sinnvoll, aber vollkommen unabhängig zu behandeln von den eigentlichen Maßnahmen, die zum Schutz unserer Kinder erforderlich sind. Kinder, vor allem Kinder bis 12 Jahre, lassen sich nicht so konditionieren, dass sie in allen Belangen alle Regeln befolgen. Gerade jüngere Kinder müssen aber die Gelegenheit haben, sich in ihrem Wohnumfeld ausprobieren zu dürfen. Und die Deisterstraße führt mitten durch ein Wohngebiet. Dazu bedarf es der besonderen Aufmerksamkeit der erwachsenen Verkehrsteilnehmer. Wenn das nicht geht, sollte lieber überlegt werden, auch Auffrischungskurse für Erwachsene durchzuführen. Im Masterplan Mobilität der Stadt Hannover heißt es: “Die Verkehrssicherheitsarbeit mit Kindern beginnt im Kindergartenalter. Verkehrs- und Schulanfänger werden auf die Gefahren im Verkehr hingewiesen und das richtige Verkehrsverhalten wird geübt.” Nun hat der Siebenjährige – vielleicht durch die gute Verkerserziehung – alles richtig gemacht und den von Erziehern, Eltern und Polizei empfohlenen Zebrastreifen genommen.
Es sind, falls dieser Einruck entstehen sollte, nicht einzelne Polizist/innen, Politessen oder Verwaltungsangestellte für die Missstände verantwortlich. Es ist ist ein systematischer Fehler, weil Polizei und Verwaltung nicht ausreichend multikausale Ursachenforschung betreiben. Sie beschreiben zwar Teile der Ursachen, bleiben aber in der Behebung an der Oberfläche. Zu der Durchsetzung von Vision Zero gehört es auch, den Konflikt mit den potenziellen Unfallverursachern im Vorfeld von Unfallhergängen einzugehen. Natürlich ist es mühsam und konfliktreich, Parkplätze und andere Sichtbarrieren an Einmündungen weiträumig rückzubauen und gegen Falschparker abzupollern. Noch mühsamer ist es, Falschparker an Einmündungen zu belangen und abzuschleppen, Tag und Nacht. Und das Argument, Abschleppen oder Parkkontrollen in den Nacht- und Morgenstunden seien unverhältnismäßig, verfängt nicht, wenn es um die Sicherheit der Menschen unserer Stadt geht. An jedem Marktplatz wird vor Marktbeginn rigoros abgeschleppt. An Straßenecken, an denen morgens Kinder und Rolli-Fahrer/innen Straßen überqueren gilt diese Rigorosität nicht. Warum nicht? Es drängt sich der Eindruck auf, ökonomische Interessen wie das Funktionieren von Märkten und die Interessen der Parkplatzsuchenden wiegen höher, als die Sicherheit der sogenannten schwächeren Verkehrsteilnehmenden.
Unfallursachenforschung wird natürlich auch bei der Polizei und in der Stadtverwaltung betrieben. Auch Handlungsempfehlungen werden ausgegeben. Es gibt den Ratsbeschluss vom Februar 2018, sicherere Standards für Radwege und Fußgänger einzuführen (www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Radverkehr-in-Hannover-Rat-will-fuer-mehr-Sicherheit-sorgen). Jetzt muss konsequent umgesteuert werden. Auch bedarf es eines die Verwaltung und Polizei durchziehenden Bewusstseins, auf Unfälle mit Kindern, Senioren und anderen sogenannten schwächeren Verkehrsteilnehmern höchste Priorität zu setzen und umfassend tätig zu werden.
In Linden-Süd beispielsweise haben nur 263 von 1000 Menschen/Haushalten ein Auto. Die anderen verzichten auf das Auto, betreiben Carsharing, fahren Rad, gehen zu Fuß, nehmen den ÖPNV. Ihre Interessen gilt es zu berücksichtigen. Vor allem, um ihre und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer nicht weiter aufs Spiel zu setzen. Auch die unfallverursachenden Verkehrsteilnehmer wollen keine Unfälle machen. Sie tragen ebenfalls oft Jahrzehnte oder ein Leben lang an ihrer Schuld. Hundert Jahre automobile Stadt darf nicht länger Menschenleben und Menschengesundheit zerstören.