Wohnen

Protestaktion zur Straßenausbaubeitragssatzung – eine Antwort

In Linden gibt es keinen erbitterten Protest gegen Beiträge, die für Straßenausbau von den Anliegern gezahlt werden müssen. Sind die Eigentümerinnen und Eigentümer hier solidarischer?

Schön ist es für niemanden, zur Kasse gebeten zu werden. Dafür ist dann aber auch die Straße vor der Haustür wieder in Ordnung. In Einfamilien- und Reihenhausgebieten werden die Straßen – außer Durchgangsstraßen – fast auschließlich von denjenigen genutzt, die dort auch wohnen, oder von Gästen, die die Bewohner/innen besuchen wollen.

In mehreren anderen Stadtteilen haben sich nun einige Anlieger in Einfamilien- und Reihenhausgebieten, zum Teil gemeinsam mit dem Grundbesitzerverein Haus und Grund, zum eigennützigen Ziel gesetzt, die Straßenausbaubeitragssatzung zu kippen. Bezahlen müssten dann für die Sanierung der Nebenstraßen alle Haushalte in Hannover. Das sind 1,5 bis 3,5 Millionen Euro pro Jahr, die dann von allen gezahlt werden. Also die Lindener Haushalte in Mehrfamilienhäusern bezahlen dann die Straßen in den Einfamilien- und Reihenhausgebieten. Entweder über eine erhöhte Grundsteuer oder über anderweitige Abgaben oder Steuern. Das ist sozial ungerecht, leben doch bereits in den Eigentumshäusern- und wohnungen tendenziell besser gestellte Bewohner/innen.

Dabei sind die Beiträge gar nicht so hoch, wie die Protestierenden behaupten. Es wird immer von fünfstelligen Beiträgen geredet. Die Mehrzahl der Beiträge ist aber dreistellig und im niedrigen vierstelligen Bereich, wie eine Anfrage unserer grünen Ratsfraktion zeigt, hier als Ausschnitt für die Berechnung von Reihenhäusern dargestellt. Der durchschnittliche Beitrag liegt bei ca. 850 Euro:

Ein Protest kommt nun vornehmlich aus dem Sozialreformerviertel rund um die Kolpingstraße in Badenstedt (siehe Foto oben). In einer Postkartenaktion wurden alle Ratsleute angeschrieben, sich für die Abschaffung der Straßenaubaubeitragssatzung einzusetzen. Ich habe darauf in einem offenen Brief geantwortet, den ich allen Absendern in den Briefkasten geworfen habe:

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An die

Eigentümerinnen und Eigentümer
Kolpingstraße und Umgebung
Betr.: Straßenausbaubeitragssatzung

Hannover, 15.10.2018

Betr.: Postkartenaktion für die Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzung

Sehr geehrte Damen und Herren,

17 Haushalte haben mir über die Ratspost Postkarten mit ihrer Ablehnung der Straßenausbaubeitragssatzung zukommen lassen. 15 Haushalte davon befinden sich im Sozialreformerviertel rund um die Kolpingstraße in Ahlem-Badenstedt-Davenstedt, 2 im Westpreußenviertel in Bothfeld-Vahrenheide.

Auf den Postkarten heißt es im wesentlichen, Straßen würden von allen genutzt und müssten daher auch von allen bezahlt werden und Eigentümer würden durch hohe Forderungen in Not geraten.

Ich selbst bewerte die Straßenausbaubeitragssatzung anders. Sie ist seinerzeit eingeführt worden, um eine gerechtere Verteilung der Lasten zu erwirken. Viele Miethaushalte befinden sich an größeren Straßen in schlechteren Lagen auf engerem Raum als Eigentümerhaushalte. Diese Miethaushalte an den Kosten für Straßenausbau in Nebenstraßen und Sackgassen mit vornehmlich Eigentümer-Bewohnerschaft beteiligen zu wollen, ist sozial ungerecht.

Sie werden das anders sehen und behaupten, es handele sich nur um wenige Euro in der Nebenkostenabrechnung aller Eigentümer und Mieter. Ich habe aber eine Reihe von Nachbarn in meinem Stadtteil Linden-Nord, die schon mit ein paar Euro Mehrbelastung erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Zumal Grundsteuer und Abfallkosten in der Vergangenheit schon sehr gestiegen sind. Die Müllkosten übrigens zu Gunsten von Einfamilienhaushalten.

Aber unabhängig von der Höhe der Kosten geht es um die Frage, weshalb Haushalte bspw. in Linden, von denen nur jeder vierte Haushalt ein Auto besitzt, Nebenstraßen, die sie wirklich nicht benutzen, voll mitbezahlen sollen. Im Übrigen wird ja, je nach Staffelung, von der Allgemeinheit ein erheblicher Anteil an den Ausbaukosten übernommen. Ich kenne auch die defacto erhobenen Beträge für Eigentümer in Einfamilienhausgebieten, die sich fast durchgehend im niedrigen vierstelligen Eurobetrag bewegen. Ausnahmen in bspw. Kirchrode in der Forbacherstraße mit sehr großen Gartengrundstücken an der Straße, werden auch höher belangt. Nach meiner Einschätzung sind die Eigentümer, die gut bezahlten Berufen nachgehen oder nachgingen, zur Zahlung in der Lage.

Nun ist ja die Kolpingstraße, wie ich in der Zeitung lesen konnte, aus dem Programm ‚Grunderneuerung im Bestand‘ herausgenommen worden. Insofern ist die Frage der Ausbaubeteiligung für die Straße, aus der mich die meisten Postkarten erreicht haben, derzeit zumindest nicht akut.

Ich weiß um die Emotionalität des Themas und auch um die unangenehme finanzielle Belastung, die ich selbst als Anrainer auch entrichten musste. Doch vielleicht ändert sich in der Diskussion bei dem ein oder anderen die Sichtweise, wenn wir uns vor Augen führen, dass die Allgemeinheit für den Platz, den eine kleine Gruppe vor der eigenen Haustür beansprucht, zahlen müsste.

Als Ratsherr muss ich den Blick auf das Wohl der ganzen Stadt richten. Die Sozialreformer, nach denen Ihre Straßen benannt wurden, mahnen uns, sozialen Ausgleich zum Wohl des Gemeinwesens immer als Handlungsmaxime zu berücksichtigen. Wir haben eine soziale Schieflage in der Stadt, die wir nicht noch verschärfen wollen. Adolph Kolping hierzu: “In der Gegenwart muss unser Wirken die Zukunft im Auge behalten, sonst ist unser Streben töricht und wird keinen rechten Sinn tragen können.” Überlegen Sie doch mal, welches Privileg es für Sie ist, in einer ruhigen Nebenstraße mit großen Grundstücken, Gärten und Vorgärten und im Wert erheblich steigender Immobilien zu wohnen. Es gibt in Hannover 45.000 Ein- und Zweifamilienhaushalte. 235.000 Haushalte befinden sich in Mehrfamilienhäusern. Beteiligen Sie sich an einer solidarischen Stadtgesellschaft!

In diesem Sinne mit freundlichen Grüßen
Dr. Daniel Gardemin
Ratsherr
B90/Grüne
Rat der Landeshauptstadt Hannover
Bezirksrat Linden-Limmer
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Tatsächlich erhielt ich zwei Antwortbriefe, die im Tenor so unergiebig sind, dass ich hier nicht weiter darauf eingehe. Nur ein Zitat gibt vielleicht auf die Frage antwort, ob überhaupt eine solidarische Sichtweise entfaltet wird. Ein Eigentümer schreibt: “Die Parkflächen an der Straße und den Parkbuchten werden fast ausschließlich von Mietshaushalten der Nebenstraßen benutzt (…) Parkraum, der dringend benötigt wurde, aber von den ‘Eigentümerhaushalten’ bezahlt wurde.” Das ist nicht nur falsch, denn auch die Miethaushalte zahlen Anschlusskosten und Straßenausbaubeiträge, es zeugt auch von einer Haltung, Eigentümer/innen würden mit ihrem Geld Mieterhaushalte mitfinanzieren.