Politik der verbrannten Erde – wie die AfD nach rechts driftet
Endlich wird das Muster deutlich. Katrin Göring-Eckard hat bei Anne Will am 23.6.2019 den Zuammenhang von rechter Hass-Rhetorik und einem Netz des Rechtsterrorismus wie folgt beschrieben: “Die AfD ist der parlamentarische Arm derjenigen, die die Verrohung in der Gesellschaft wollen, die die Gesellschaft auseinandertreiben wollen, die Hass wollen, die Hetze wollen und die auch zu solchen Morden aufrufen. Deswegen sage ich, natürlich gibt es einen Boden, der bereitet ist, der zu so einer solchen Eskalation führt. Deshalb sage ich, die AfD hat ein Gewaltproblem und die AfD grenzt sich nicht ab und sie grenzt sich gerade nicht von dieser Art von Gewalt ab. Es gehört auch dazu, dass die Ermittlungsbehörden sich genau anschauen, was passiert dort an Verbindungen, wenn es um solche Art von Hetze geht, dann, wenn man über Menschen herfällt, die eine Minderheit sind, die es schwer genug haben. Wir reden jetzt über diesen einen Mordfall an einem Politiker. Wir wissen, die Antonio-Amadeo-Stiftung sagt, sogar 196 Fälle rechtextremer Morde gibt es in Deutschland. Das sind meistens People of Colour, Menschen mit Migrationshintergrund, die zu unserer Gesellschaft gehören und die Angst haben. Jetzt müssen wir ihnen sagen, ihr müsst auch Angst haben, wir können euch nicht schützen, wir konnten Walter Lübcke nicht schützen, wir können die nicht schützen. Ich erlebe Menschen, die in Kommunen einfach nur Städträtin oder Stadtrat sind, die Angst haben, einerseits ins Netz zu schauen, was ihnen heute wieder entgegen gehalten wird und andererseits Angst um ihre Person haben und die trotzdem sagen, ich mache weiter, denn ich lasse mich von euch nicht beirren, dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft demokratisch bleibt. Was da passiert, trifft in das Herz der Demokratie und deswegen müssen wir da so klar sein. Da kann man auch nicht nett und zurückhaltend sein, sondern sehr, sehr klar.”
Es tut gut, Politikerinnen wie Katrin-Göring Eckardt und andere quer durch die demokratischen Parteien jetzt deutlich vor den rechten Netzwerken warnen zu hören. Es sind keine wirren Einzelfälle oder gar Beziehungstaten, wie man es uns schon bei den NSU-Morden glaubhaft machen wollte. Es sind Taten aus einem Netz von geistigen Brandstiftern, die Listen führen, die Waffen horten, die das Internet fluten. Und diese Taten stehen in einer langen Reihe, sie haben Orte der Kamaradschaften, sie treffen sich bei Konzerten, auf denen nicht nur verbotenes Liedgut gehört wird, das junge Menschen anstachelt, sondern wo gleich auch noch Aufträge und Gelder verteilt werden. Mit Geld aus illegalen Quellen, die bereits NPD, Republikaner und andere rechtsextreme Parteien seit 1945 versorgt haben.
Diese Rechten fühlen sich sicher im Schutz von Polizisten, die sich Kreuzritterorden an ihre Uniformen heften und bei Pegida mitlaufen, sie sind frei von Beobachtung des Verfassungschutzes, der das rechte Auge so offensichtlich zudrückt, dass einem der Glauben an den Rechtsstaat abhanden kommen kann und sie werden hofiert von Politikern von CDU und AfD, die Koalitionen in den ostdeutschen Bundesländern vorbereiten. Immerhin hat die Parteivorsitzenden der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, jetzt unmissverständlich jede Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Es wurde auch Zeit.
Die AfD will nicht das konservative Erbe antreten, sie will Menschen jagen. Dazu hatte der AfD-Vorsitzende, Alexander Gauland, aufgerufen. Er und seine Leute sind es, die die Grenzen nach rechts hemmungslos geöffnet haben. Das Ergebnis können wir heute besichtigen. Morde, Überfälle, Morddrohungen. Selbst im friedlichen Hannover wird unser hannoverscher grüner Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler auf offener Straße zusammen geschlagen, der Landtagsabgeordnete Hans-Michael Höntsch bekommt Morddrohungen. Die Staatsanwaltschaft hat den Absender der Morddrohung nicht ausfindig machen können, so dass Höntsch selbst tätig wurde und den Täter ermittelte. Was ist das denn für ein Armutszeugnis unseres Rechtsstaates, dass derjenige, dem nach Leib und Leben getrachtet wird, auch noch die Arbeit der Ermittlungsbehörden übernimmt, die sich zu einer Aufklärung nicht in der Lage sieht? Der Beschuldigte wurde dann zu 360 Euro Geldstrafe verurteilt.
Wir können nur hoffen, dass er nicht vom Radar verschwindet, wie der mutmaßliche Täter von Walter Lübcke, der bereits eine einschlägig rechte Vergangenheit trägt. Stattdessen werden die Verfassungsschutzberichte in Kassel und zu anderen NSU-Morden für 120 Jahre unter Verschluss gesetzt. Was steht denn da beunruhigendes geschrieben, dass niemand von uns zu Lebzeiten davon erfahren soll. Wir leben doch nicht mehr in einer autokratischen Gesellschaft, in der ein enger Herrschaftszirkel darüber bestimmt, wovon die Gesellschaft Kenntnis erhalten darf und wovon nicht. Der Rechtsstaat muss jetzt aufpassen, dass ihm nicht die Legitimation abhanden kommt. Zu viele Fragen stellen sich, zu viele Puzzlestücke verweisen auf ein Netz, desen Schlingen sich um die demokratischen Strukturen ziehen.
Wer das nicht glaubt, möge sich die offenen Fragen zum NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel noch einmal neu stellen. Während des Mordes an Halit Yozgat saß ein Verfassungschützer im Nachbarraum. Im Brandschutt der NSU-Wohnung in Zwickau befanden sich Hinweise auf diesen Verfassungschützer. In der Kneipe, in der Beate Schäpe sich aufhielt, verkehrte auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke. Der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der beim Mord Halit Yozgats anwesend war, arbeitete in Walter Lübckes Behörde. Auch hier hat der Rechtsstaat verschleiert und beschwichtigt. Während der Ministerpräsident Hessens, Volker Bouffier, die Akten bis zum Jahr 2136 unter Verschluss halten will, um das “Wohl des Landes Hessens” zu schützen, hat das britische Forscherteam Forensic Architecture den Mord in Kassel akribisch analysiert und auf der Dokumenta 14 der Öffentlichkeit präsentiert (The Murder of Halim Yozgat). Auch hier aus eigenem Antrieb privat ermittelt, die Arbeit der Sicherheitsbehörden übernommen. Dabei ist die Aufgabe des Rechtsstaates, Terrornetzwerke zu verhindern. Bei Festen in Hannover werden wegen der “abstrakten Gefährdungslage” Taschen der Besucher nach Waffen untersucht, alles und jedes unter Terrorismusverdacht gestellt, während sich gleichzeitig rechte Kräfte des Rechtsstaates bemächtigen. Seit dieser Woche mehren sich die Stimmen, von Heiko Maas bis Friedrich Merz, die die Entwicklung nennen was sie ist: Rechtsterrorismus. Wenn wir Göring-Eckard, Maas und Merz ernst nehmen, müssen wir handeln.
Es bräuchte letztlich eine Auflösung des Verfassungschutzes und klare Kriterien für Wiedereinstellungen. Strukturen und Akten müssen offen gelegt werden. Ähnliches gilt für die Polizei. Wir benötigen sozusagen ein Polizeigesetz für die Polizei. Der einzelne Polizist muss identifizierbar sein, Aussagen vor Gericht eingehender geprüft werden, ein demokratischer Geist an die Stelle des Korpsgeistes gesetzt werden. Es müssen auch die Polizeiakademien wieder ziviler werden. Vor der niedersächischen Reform der Polizeiausbildung 2007 kamen die Anwärter des mittleren und höheren Dienstes an die zivilen Hochschulen. Bei mir in den Lehrveranstaltungen waren immer ein oder zwei Polzeischüler. Das ist nun nicht mehr, sie sind unter sich in der Polizeiakademie, abgeschottet von den zivilen Bildungseinrichtungen. Kadavergehorsam, autoritärer Gesinnung und Männerbünden wird so Vorschub geleistet.
Lasst uns nicht weiter einfach nur zuschauen. Wir haben uns in dem Wirtschafts- und Demokratiewunder der Nachkriegszeit zu sehr darauf verlassen, nationalistische und antidemokratische Kräfte überwunden zu haben. Wir in Westdeutschland haben die Vorstellungskraft einer totalitären Gesellschaft verloren, wir haben es uns kofliktentwöhnt bequem gemacht. Nach der Jagd will die AfD ja weiter machen. “Wir werden uns unser Land zurückholen”, hat Gauland angekündigt. Das ist die Ankündigung eines Umsturzes. Die finsteren Männerphantasien, wie das geschehen soll, sind in unzähligen Tweets von AfD-Politikern, Mitarbeitern und Gesinnungsgenossen nachzulesen.
Mischt euch ein, stellt euch den unbequemen Diskussionen, hinterfragt die Beschwichtigungen und Beschönigungen von Politik und Sicherheitsbehörden, geht in die Rathäuser und Landtage, macht Eingaben, seid offen solidarisch mit den Bedrohten und lasst euch nicht verleiten, um des schnellen Erfolges willen selbst demokratische Regeln überschreiten zu wollen. Bildet eure Jugend, helft, Ungleichheiten zu überwinden, bringt Menschen zusammen. Spendet für demokratische Projekte, seid nachsichtig, umsichtig, friedlich.